Unternehmen entdecken Online-Spiele für die Personalsuche: Durch Social Games wollen Firmen neue Fachkräfte gewinnen. Wie es funktioniert, beschreibt Jochen Mai.
Magda Lenas Karriere begann damit, Drogen über die Grenze zu schmuggeln. Danach folgte eine kurze Phase der beruflichen Neuorientierung: Lena wurde erst Ärztin, dann Journalistin und jetzt ist sie Versuchskandidatin bei Bayer. Genauer gesagt: Senior Versuchskandidatin, die Beförderung kam nach nur einer Stunde.
Das Leben ist vielleicht kein Kinderspiel, dafür aber manche Karrieren. Zumindest die virtuellen. "Magda Lena" ist zwar ein Pseudonym, doch ihr Job könnte schon bald real werden. Auch wenn der bislang nur Teil einer Kunstwelt namens Fliplife ist.
Dahinter verbirgt sich ein sogenanntes Social Game. Mit den kostenlosen Online-Spielen beschäftigen sich heute Millionen Mitglieder in sozialen Netzwerken wie Facebook und verdaddeln dort ihre Zeit. Sozial heißen die Spiele aber auch deshalb, weil sich die Nutzer beim Basteln an virtuellen Teslaspulen oder Fluxkompensatoren zum Teil gegenseitig unter die Arme greifen müssen, Cyber-Projekte gemeinsam stemmen oder miteinander chatten. Knapp sechs Monate nach dem Start von Fliplife bevölkern etwa 150.000 Menschen die digitale Welt, 59 Prozent davon sind Männer. Und jeden Tag kommen etwa 2000 neue Spieler dazu, die im Schnitt 24 Minuten täglich auf der Seite verbringen. "Wenn wir Werbung schalten, kommen bis zu 10 .00 Spieler dazu", sagt Ibrahim Evsan nicht ganz ohne Stolz.
Er hat die globale Lebenssimulation im September 2010 zusammen mit Thomas Bachem und Tobias Hartmann in Köln erschaffen. In elf Sprachen lässt sich das Spiel aktuell spielen, Ende des Jahres sollen es 27 sein.
Die beiden Gründer Evsan und Bachem sind keine Unbekannten in der Szene. Erst im September 2009 verkaufte das Duo das Videoportal Sevenload, eine Art deutsches YouTube, an die Deutsche Telekom, um rechtzeitig in die boomende Online-Spieleindustrie einzusteigen. Hartmann war vorher bei Bridgepoint Capital beschäftigt, einem Wagnisfinanzierer für Startups. Der Zeitpunkt zum Jobwechsel war von allen drei gut gewählt.
Social Games weisen seit einiger Zeit beachtliche Wachstumsraten aus. Das 2007 gegründete britische Unternehmen Playfish etwa, das kostenlose Spiele wie "Pet Society" oder "Restaurant City" für Facebook und MySpace entwickelte, wurde im November 2009 für stolze 275 Millionen Dollar von dem amerikanischen Spielekonzern Electronic Arts gekauft.
Das Berliner Startup Wooga wiederum versammelt in seiner digitalen Schrebergartensiedlung weltweit mehr als 15 Millionen Online-Gärtner und gilt damit ebenfalls als einer der führenden Entwickler Europas
Beide sind jedoch nichts im Vergleich zu ihrem US-Vorbild Zynga. Die Softwareschmiede, die Analysten aktuell auf einen Wert von rund sechs Milliarden Dollar taxieren, schaffte es binnen weniger Wochen mit Spielen wie der Bauernhofsimulation "Farmville" oder ihrem Nachfolger "Cityville", mehr als 300 Millionen Facebook-Nutzer zu begeistern.
Geld verdienen Zynga & Co. damit, den Spielern virtuelle Produkte zu verkaufen, mit denen diese ihre Figuren aufmotzen und das Punktekonto nach oben treiben können. Auch die seit Kurzem eingeführte Werbung lässt die Umsätze steigen.
Gewiss, das Ganze erinnert ein wenig an Second Life. 2007 wurde das US-Unternehmen Linden Lab für seine virtuelle Zweitwelt gefeiert, der Cyber-Wohnsitz für Alter Ego als Milliardenmarkt hochgejubelt. Abgehoben hat der Laden trotzdem nie. Ein Jahr später verzeichnete Second Life gerade einmal eine Million aktive Nutzer – nichts im Vergleich zu den heutigen Simulationen, die vom Facebook-Boom enorm profitieren.
Und noch etwas ist heute anders: Statt die künstliche Realität optisch opulent abzubilden, konzentrieren sich die Entwickler auf das Suchtpotenzial ihrer Spiele.
Alle paar Minuten ein Erfolgserlebnis – mit diesem Rezept sollen die Spieler bei Laune gehalten und aus dem flotten Zeitvertreib ein lukratives Geschäftsmodell werden. Die meisten Social Games lassen sich nebenbei spielen, machen wenig Mühe und erfordern anfangs nur wenig Konzentration. So bleiben die Spieler den ganzen Tag über online, ohne es zu merken.
Um bei Fliplife mitzumischen, reicht es schon, sich über seinen Facebook-Account zu registrieren. Danach erstellt jeder neue Spieler einen virtuellen Alias von sich, einen sogenannten Avatar, und startet mit seinem Kunst-Ich eine zweite Laufbahn – ob als Drogenkurier, als Nachwuchswissenschaftler oder klassisch von unten: als Tellerwäscher.
"Wir versuchen das echte Leben nachzubilden, in allen denkbaren Facetten", sagt Evsan. Doch das stimmt nicht ganz. Künftig soll der Wechsel auch in der Gegenrichtung stattfinden: Fliplife ist nicht nur ein soziales Spiel, es ist ein virtuelles Assessment Center. Und immer mehr Unternehmen wollen das nutzen.
Beispiel Bayer. Wer seine Laufbahn in der digitalen Zweigstelle des Pharmakonzern beginnt, muss erst einmal im Rechenzentrum kaputte Server finden. "Wir vermuten, dass sich ein Kabel gelöst hat. Da aber auch die automatische Ortung den Geist aufgegeben hat, wirst du dich auf allen Vieren auf die Suche nach dem Server machen müssen. Hier hast du eine Taschenlampe und Kniepolster – viel Glück!", lautet die knappe Anweisung der Online-Chefin.
Immerhin: Spieler müssen den Kriechjob nicht selbst mit diversen Mausklicks ausüben, das übernimmt die Software. Es reicht schon, das Projekt anzunehmen. Danach rackert sich der Avatar minutenlang ab, während man selbst nebenbei seiner realen Beschäftigung nachgehen oder einen Kaffee trinken kann – bis das erste virtuelle Gehalt verdient ist.
Mit steigendem Level werden die Projekte jedoch komplexer. Die Spieler müssen Teams bilden, um ihre Aufgaben zu absolvieren, dringen dabei tiefer in die Strukturen der künstlichen Unternehmen vor und beschäftigen sich intensiver mit deren realen Berufsbildern.
Und genau das sollen sie. Denn wer die Aufgaben binnen kürzester Zeit mit Bravour besteht, könnte bald schon Post von der Personalabteilung bekommen – samt des Angebots, sich etwa für ein Praktikum zu bewerben.
"Wir wollen unsere Zielgruppen auch über Social Gaming ansprechen", sagt Bernd Schmitz, Leiter des Hochschulmarketings bei Bayer. Fliplife sei Neuland und als Ergänzung zu den bisherigen Personalmarketingstrategien des Pharmakonzerns gedacht – natürlich mit möglichst "positiven Effekten".
So sei dort auch schon ein Quiz mit Wissensfragen rund um den Konzern geplant. Außerdem sollen Kennenlerngespräche für Top-Spieler arrangiert werden. "Ein paar Tage müssen die aber schon spielen, bis so eine Einladung kommt", relativiert Entwickler Evsan.
Spätestens ab Level zehn soll deutlich werden, dass es hierbei um mehr geht als eine bunte Heile-Welt-Simulation. So tauchen dann zum Beispiel auch "Sonderprojekte" auf, hinter denen sich durchaus reale Mikrojobs verbergen können. Etwa Texte übersetzen oder einer Liste von Lieferantenadressen Geo-Codes zuweisen.
Im Gegenzug erhalten die Spieler nicht nur Bonuspunkte, die sich in der Kunstwelt in digitalen Schnickschnack umwandeln lassen. Je nach Performance winken eben auch Jobangebote.
Die Fliplife-Macher verdienen derweil an den virtuellen Mitarbeitern mit: Für jeden aktiven Spieler in ihren Online-Filialen bezahlen die Unternehmen Geld.
Und das gerne. Anfang März soll die digitalen Niederlassung von Siemens auf Fliplife eröffnen. Weitere zehn deutsche Konzerne stehen mit den Kölnern bereits in Verhandlung.